Anamnese: Rezeptfreie Medikamente nicht vergessen!
Bremen (rd_de) – Wer sich das Angebot von Internetapotheken anschaut, findet eine breite Palette an rezeptfreien Medikamenten. Zu den frei verkäuflichen Präparaten gehören zum Beispiel auch Blutdrucksenker sowie Schmerz- und Beruhigungsmittel. Die angebotene Beratung beim Kauf wird vielfach nicht wahrgenommen. Zeigen sich Inkompatibilitäten oder gefährliche Nebenwirkungen, tritt der Rettungsdienst auf den Plan.
Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und Rettungssanitäter lernen, Patienten grundsätzlich nach dem ABCDE-Schema zu beurteilen und zu behandeln. Hierzu gehört auch eine Kurzanamnese gemäß der SAMPLER-Regel. Das „M“ steht dabei für die Frage nach der Medikation. Hierbei wird unterschieden zwischen:
- Dauermedikation,
- Bedarfsmedikamenten und
- vorübergehender Medikation.
Wichtig ist, dass sich der Rettungsdienst nicht nur nach Medikamenten erkundigt, die von einem Arzt verschrieben worden sind. Rezeptfreie Medikamente dürfen nicht vergessen werden! Grundsätzlich gilt: Rezeptfreie Medikamente können – genauso wie rezeptpflichtige Präparate – einen Hinweis auf die Erkrankung bzw. das aktuelle gesundheitliche Problem des Patienten geben.
Weiterhin sollte auch nach Nahrungsergänzungsmitteln, rezeptfreien Getränken und Tees gefragt werden. Deren Inhaltstoffe können zu Inkompatibilitäten mit anderen, vom Patienten eingenommenen Wirkstoffen führen. Sie können aber auch der Auslöser für anaphylaktische Reaktionen sein.
Rezeptfreie Medikamente: Gefahr für Kinder
Nicht immer erhalten Kinder die Medikamente, die für sie geeignet sind. Dies gilt sowohl für rezeptpflichtige als auch für rezeptfreie Medikamente. Mögliche Folgen sind Intoxikationen.
Bei den meisten Vergiftungen im Kindesalter handelt es sich um Unfälle. Medikamente stellen hierbei die zweithäufigste Vergiftungsursache im Kindesalter dar. Medikamente, die normalerweise für einen Erwachsenen verschrieben wurden, sind dann zur Behandlung von kindlichen Beschwerden eingesetzt worden. Deshalb sollte bei der Anamnese-Erhebung immer danach gefragt werden, ob das verabreichte Medikament für den betreffenden Patienten (hier: das Kind) verordnet wurde.
Diphenhydramin, Dimenhydrinat und Doxylamin sind auch in rezeptfreien Medikamenten für Kinder enthalten. Diese Präparate werden als Schlafmittel, Antiemetika oder in Kombination mit anderen Wirkstoffen als Husten- oder Erkältungsmittel eingesetzt. Die Präparate tragen so harmlose Namen wie „Halbmond“ oder „Sediat“. Doxylamin befindet sich zum Beispiel auch in dem Erkältungssirup „Wick MediNait“.
Neben der antihistaminischen und antiallergischen Wirkung kommt es durch diese Wirkstoffe zu zentralnervösen und anticholinergen Effekten. Die allergische Symptomatik wird durch die Blockade der peripheren Histamin-1-Rezeptoren hervorgerufen. Über eine Blockade der zerebralen Histamin-1-Rezeptoren kommt es möglicherweise zu zentralvenösen Symptomen. In therapeutischer Dosierung tritt bereits eine über 24 Stunden anhaltende Sedierung ein. Diese führt bei älteren Kindern unter anderem zu Benommenheit. Leichte Vergiftungen äußern sich in Form von:
- Desorientiertheit,
- Angst,
- Halluzinationen,
- weiten Pupillen,
- Schwindel,
- Muskelzittern,
- leichter Tachykardie,
- leichter Hypertension und
- erhöhter Temperatur.
Bei einer schweren Vergiftung kommt es zu Bewusstseinsveränderungen bis hin zum Koma, Krampfanfällen, Blutdruckabfall oder -anstieg, Herzrhythmusstörungen, einer respiratorischen Insuffizienz und womöglich Atemstillstand.
(Text: Thomas Semmel, Dozent im Rettungsdienst, ERC Educator und ALS-Instruktor; Symbolfoto: ABDA; zuletzt aktualisiert: 10.04.2018) [1660]
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