Bonn (rd.de) – Ist die Gabe von Medikamenten durch Rettungsassistenten eine Kompetenzüberschreitung? Oder ist die Nichtverabreichung eine unterlassene Hilfeleistung? Ein vom DBRD in Auftrag gegebenes Gutachten zur S-Ketamingabe durch Rettungsassistenten bringt die Diskussionen um dieses strittige Thema in eine neuen Runde.
Einem Rettungsassistenten aus Mayen wurde gekündigt, weil er im Juni 2008 in einer Schicht zwei Patienten Medikamente i.V. verabreicht hatte. Eine hypertensive Krise bekämpfte der Kollege mit Urapidil, eine Oberarmfraktur analgesierte er mit Novaminsulfon und MCP.
Das Arbeitsgericht Koblenz hatte den Fall der Kündigung zu verhandeln. Für das Verfahren eingeholte ärztliche Stellungnahmen erkannten die Indikation zur Medikamentengabe für gegeben. Rettungsassistenten, die Medikamente verabreichten, waren im Kreisgebiet offenbar nichts Ungewöhnliches und bis dahin wurde ihr Tun auch geduldet.
Das Arbeitsgericht in Koblenz stellte in seinem Urteil vom November 2008 fest, dass der gekündigte Rettungsassistent seiner Garantenstellung gemäß § 13 StGB und § 3 Rettungsassistentengesetz gefolgt ist und sein Verhalten insofern eine Kündigung nicht rechtfertigen kann (Aktenzeichen: 2 Ca 1567/08).
S-Ketaminverbot in Rheinland-Pfalz
Dem Urteil folgte eine Einlassung des Innenministeriums Rheinland-Pfalz zur S-Ketamingabe durch Rettungsassistenten, die in einem DRK-Rundschreiben weitergegeben wurde. Das Innenministerium beurteilt die Gabe von S-Ketamin darin als äußerst problematisch und untersagt Rettungsassistenten die Gabe des Medikaments.
Dieser Vorstoß veranlasste den Deutschen Berufsverband Rettungsdienst e.V. DBRD, ein Rechtsgutachten, insbesondere zur Bewertung der Analgesie mittels S-Ketamin durch Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten, erstellen zu lassen.
Das Gutachten, erstellt von Dr. jur. Michael O. Heuchemer, der auch den Rettungsassistenten aus Mayen vor Gericht vertreten hatte, kommt zu dem Schluss, dass ein starres Verbot einer Medikamentengabe die Situation der Rettungsassistenten weiter verschärft und das Haftungsrisiko erhöht, besonders dann, wenn der Rettungsdienstler auf die Ketamingabe hin geschult wurde, das Medikament und seine Komplikationen also sicher beherrscht.
Gerichtsurteile wie das aus Koblenz bringen den Rettungsassistenten nicht mit dem Heilpraktikergesetz, dessen Paragraph 1 einen Arztvorbehalt formuliert, in Verbindung. Der Jurist Dr. Heuchemer schließt aus der Formulierung des § 3 Rettungsassistentengesetz „Helfer des Arztes“ auch eine Vertretungsfunktion, wenn kein Arzt im Einsatz beteiligt ist. Der Wortlaut des Gesetzes „bis zur Übernahme durch den Arzt“ müsse sich nicht zwingend auf einen alarmierten Notarzt beziehen, sondern kann auch den behandelnden Arzt im Krankenhaus meinen.
Reutlingen ist zwei Schritte voraus
Beim DRK in Reutlingen ist man schon zwei Schritte weiter. Dort entwickelte man im Dialog mit den ärztlichen Fachberatern Algorithmen zur Medikamentengabe durch Rettungsassistenten. Die Rettungsdienstler durchlaufen Ausbildung und Prüfung zum Zwecke der Zertifizierung und müssen sich der Prüfung jährlich neu stellen.
Für medikamentöse Maßnahmen stehen den Rettungsassistenten neun Medikamente zur Verfügung. Indikationen sind dabei die Reanimation (Adrenalin und Amiodaron), Anaphylaktischer Schock (Adrenalin), obstruktive Atemwege (Salbutamol), Akutes Koronarsyndom (Nitrate), Hypoglykämie (Glucose), zerebrale Krampfanfälle (Midazolam), Hypertensive Notfälle (Urapidil), hämorrhagischer Schock (HyperHAES®), traumatische Schmerzzustände (Midazolam und Ketamin). Das Legen peripher-venöser Zugänge und die angepasste Applikation von kristalloiden Infusionen werden als Standardmaßnahme beim Notfallpatienten angesehen.
Einsätze mit Medikamentengabe werden ausführlich dokumentiert und die Dokumentation unter anderem von einem der leitenden Notärzte fortlaufend geprüft.
Bislang sind die Erfahrungen durchweg positiv, berichtet Wilfried Müller, Rettungsdienstleiter beim DRK in Reutlingen: „Es wird bei uns kein Rettungsassistent gezwungen, Medikamente zu geben. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Möglichkeit der Medikamentengabe von den meisten Rettungsassistenten angenommen wird.“ Inzwischen sind die Mitarbeiter in die erweiterte Verantwortung gut hinein gewachsen. „Man muss sich doch darüber im Klaren sein,“ beklagt sich Müller, „dass die notärztliche Versorgung sich derzeit nicht verbessert, weil die Krankenhäuser ein Personalproblem haben.“ In diesem Zusammenhang geht die Kritik Einiger, die vor einem Paramedicsystem in Deutschland warnen, an der Arbeitsrealität vorbei. „Wir haben hier einige Ecken im Versorgungsgebiet, das steht der RTW binnen drei Minuten vor der Tür, der Notarzt ist hingegen wenigstens 15 Minuten unterwegs.“
Eines fehlt auch den Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten in Reutlingen – und das ist eine Rechtssicherheit. „Die Novellierung des Rettungsassistentengesetz muss uns genau das bringen: Eine juristisch einwandfreie Handlungsgrundlage für die erweiterten Versorgungsmaßnahmen“, fordert Müller.
Weitere Informationen:
Dieser Beitrag zeigt wieder einmal ganz deutlich, dass zum Einen Rettungsassistenten durchaus in der Lage sind, verantwortungsvoll und zielgerichtet mit Medikamenten umzugehen, und zum Anderen dass es allerhöchste Zeit wird, hier endlich bundesweit einheitliche und konkrete Vorgaben zu schaffen, um Rechts- und Handlungssicherheit zu bekommen. Diese “Insellösungen”, wie sie die Vorgehensweisen in Reutlingen und Rheinland-Pfalz darstellen, sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht und damit für das gesamte Rettungswesen weder förderlich noch sinnvoll. Wieso ist die Ausbildung zum RettAss im ganzen Staat durch Bundesgesetze eindeutig definiert und geregelt, während andererseits die Länder selbst entscheiden können was ein RA darf und was nicht? Ich finde das Reutlinger Modell auf jeden Fall zukunftsweisend und spreche den Verantwortlichen meinen Respekt für den Mut zu dieser Entscheidung aus. Ich hoffe dass sich auf dieser Basis das Berufsbild RettAss weiterentwickeln kann – zum Wohl der Patienten. Ich würde es allerdings als positiv bewerten wenn zusätzlich bei anaphylaktischen Notfällen auch die Gabe von Tavegil / Fenistil und Cortison möglich wird.
Ich vermisse bei der Novellierung und Diskussion um das Rettungsassistentengesetz die besondere Stellung der examinierten Krankenpflegekräfte, die als Rettungssanitäter tätig sind! Diese haben, insbesondere wenn sie im Bereich der Anästhesie und/oder Intensivmedizin tätig sind, genauso viel Ahnung im Umgang mit Notfallmedikamenten wie RettAss!!!
Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen, daß im Kreis Bergstraße (Hessen) nahezu die gleiche Handlungsweise wie in Reutlingen praktiziert wird.
Für diese wird es wohl kaum eine spezifische gesetzliche Regelung geben.
Es ist jedoch eine sehr interessante Frage, wie insbesondere eine eventuelle Garantenstellung solchen Personals (Anästhesiefachpfleger plus RettSan) aussieht.
Ich kann da dem 1ten Kollegen nur Zustimmen, es gibt Bereiche in denen es gut funktioniert mit Sonderlösungen. Siehe zum Beispiel München ( Artikel in der Rettungsdienst Ausgabe 05/2009)
So eine Lösung wäre doch gut und annehmbar für alle Beteiligten ( Ärzteschaft und RD Personal)
Nur diese Sonderlösungen sollte man als Denkanstoß in eine Planung für ein neues Gesetz aufnehmen.
Zum Thema RA Gesetzt: Darum hießt es ja RA Gesetz, da RS da nicht inbegriffen sind. Für die RS ist das jeweilige Ländergesetz zuständig. Das RA Gesetz ist ein Bundesgesetz.
Aber ich gebe dem Kollegen Krieg durchaus Recht, das auch eine Anästhesie oder Intensiv Pflegekraft mit derartigen Kompetenzen ausgestattet werden sollte. Man darf abernicht vergessen das das Berufsbild für den Rettungsdienst der RA ist und nicht der Anästhesiepfleger o. ä.
Zu der Frage der Kompetenzen “Fach-KrPfl + RS”: Naürlich haben Fachpflegekräfte aus den Bereichen Anästhesie und Intensivpflege ein deutlich größeres Background-Wissen. Nur wie bereits von “raip” dargestellt, es geht hier um den Rettungsassistenten und nicht um Pflegekräfte oder irgendwelche RD-Pflege-Kombinationen.
Allerdings hätte eine Gleichstellung meiner Meinung nach einen Vorteil bzw. es müsste damit Zwingend eine lang gestellte Forderung umgesetzt werden. die völlige Gleichstellung RA – Pflegepersonal und damit verbunden eine 1005ige Durchlässigkeit zwischen den Berufen. Den jeweils fachspezifischen Teil kann man durchaus nachlernen.