(Bild: Markus Brändli)Berlin (BAND) – Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass in kurzer Zeit die Kapazitätsgrenzen des Rettungsdienstes erreicht oder überschritten werden. Ursachen sind sowohl eine steigende Zahl von Notfallpatienten als auch der Ausfall erkrankter Mitarbeiter. Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) hat deshalb am Dienstag (31.03.2020) Empfehlungen zum Umgang mit knappen Ressourcen im Rettungsdienst im Rahmen der Covid-19-Pandemie vorgestellt.
Die Behandlung kritisch kranker Patienten wird weiterhin durch Ärzte und Pflegende in den Kliniken erfolgen, wenn auch zunehmend unter improvisierten Bedingungen und evtl. in Notkrankenhäusern. Es ist wahrscheinlich, dass in kurzer Zeit und trotz bereits erfolgter Kapazitätserhöhungen nicht mehr ausreichend intensivmedizinische Ressourcen für alle Patienten zur Verfügung stehen, die ihrer bedürften. Nach den Erfahrungen aus anderen Ländern wird die entscheidende Engpassressource die Beatmungsmöglichkeit sein (fehlende Beatmungsgeräte und fehlendes Fachpersonal).
Nach Auffassung der BAND muss die gerechte Zuteilung von intensivmedizinischen Ressourcen in den Händen von Intensivmedizinern bleiben und kann nicht von Notärzten, Rettungskräften oder Einsatzsachbearbeitern vorgenommen werden.
Gerade in einer akuten Mangelsituation, in der patientenzentrierte Behandlungsoptionen eingeschränkt werden müssten, seien transparente, medizinisch und ethisch gut begründete Kriterien für die Zuteilung der Behandlungsplätze erforderlich, schreibt die BAND. Die Entscheidung, welche Patienten einer intensivmedizinischen Behandlung (Beatmung und weitere organunterstützende Maßnahmen) zugeführt werden und welche Patienten dafür nicht in Frage kommen, kann nach Ansicht der BAND-Mitglieder ausschließlich von Intensivmedizinern anhand medizinischer und ethischer Kriterien und in Kenntnis der intensivmedizinischen Ressourcen getroffen werden. Die aktuellen Empfehlungen der DIVI gehen davon aus, dass hierüber möglichst zwei intensivmedizinisch erfahrene Ärzte sowie ein Vertreter der Pflegenden und ggfs. weitere Fachvertreter gemeinsam entscheiden (Mehraugen-Prinzip).
Diese ethischen Entscheidungsgrundsätze müssen nach Ansicht der BAND aufrechterhalten werden, solange nicht ausdrücklich ein Zustand festgestellt wurde, der fachlich begründete Entscheidungen nicht mehr möglich macht.
Dem Rettungsdienst kommt die Aufgabe zu, die Erkrankten möglichst unter Erhalt der üblichen Standards und so geordnet wie möglich den stationären Einrichtungen zuzuführen, damit dort dann die verfügbaren Behandlungsressourcen zugeteilt werden können. Der Notarzt kann derartige Entscheidungen nicht vorwegnehmen, da er vor Ort nur über eingeschränkte diagnostische Möglichkeiten verfügt und keine genaue Kenntnis der aktuell verfügbaren Beatmungsmöglichkeiten und der Zuteilungskriterien auf der Intensivstation hat.
Ein regelmäßiger Austausch zwischen Intensivmedizin und Rettungsdienst zu den vorhandenen Ressourcen ist für das gegenseitige Verständnis notwendig. Bei zunehmender Knappheit von Beatmungsmöglichkeiten ist die Etablierung einer Kommunikations- und Management-Schnittstelle zwischen Notarztdienst und Intensivmedizin erforderlich.
Mit den vorhandenen Strukturen aus qualifiziertem Notarztsystem, Ärztlichen Leitern Rettungsdienst und telemedizinischer Unterstützung sind fachgerechte und abgestimmte Entscheidungen möglich. Die digitalen Meldesysteme für Behandlungskapazitäten (IVENA, IG-NRW, ZLB Rheinland-Pfalz, DIVI-Intensivregister) können die bestmögliche Verteilung der Patienten unterstützen. Dies alles kann zur Entlastung der Kliniken beitragen.
Es sei denkbar, dass eine Situation eintritt, wo innerhalb des Rettungsdienstes über die gerechte Zuteilung von Rettungsmitteln (Fahrzeugen und Personal) entschieden werden müsse, wenn diese nicht im notwendigen Maße verfügbar sei, so die BAND. Aus Sicht der BAND sind dabei die folgenden Aspekte von zentraler Bedeutung:
• Alle Möglichkeiten der überregionalen Disposition müssen geprüft worden sein, bevor ein Rettungsmittel als „nicht verfügbar“ gilt.
• Fallen Rettungsmittel regional aus, muss in einem Stufenplan klar definiert sein, welche Ressource in der konkreten Situation ersatzweise disponiert werden kann.
• Telemedizinische Unterstützung kann mithelfen, die Situation am Einsatzort zu beurteilen und zugleich die Zahl der direkten Kontakte mit Patienten und Angehörigen auf das notwendige Maß zu beschränken.
• Infektionspatienten mit COVID-19-Verdacht sind unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit genauso zu behandeln wie andere Notfallpatienten. Auch bei regionalem Mangel an Ressourcen darf es bei der Disposition weder eine Bevorzugung noch eine Benachteiligung von Patienten nach der Art des Krankheitsbildes geben.
• Eine Bevorzugung oder Benachteiligung allein nach dem kalendarischen Alter oder nach sozialen Kriterien ist nicht vertretbar.
• Der Verzicht auf eine Krankenhauseinweisung bedarf der notärztlichen Kompetenz. Das kann sowohl bei einem sterbenden Patienten als auch bei einem nicht-kritisch erkrankten Patienten der Fall sein, der die Kriterien für eine stationäre Einweisung nicht erfüllt. In beiden Fällen soll das Rettungsteam, sofern kein Transport vorgenommen wird, für eine angemessene Weiterbetreuung des Patienten sorgen (z.B. durch Hausarzt, Ärztlichen Bereitschaftsdienst oder Palliativdienst).
• Vorhandene Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sowie Kontaktdaten von Angehörigen sollen als Beitrag zur innerklinischen Entscheidungsfindung vom Rettungsdienst mitgebracht werden.
• Bedingt durch Besuchsverbote in den Kliniken ist die Verabschiedung der Patienten von ihren Angehörigen vor einem Transport durch den Rettungsdienst von großer Bedeutung. Hier sollte, sofern die notfallmedizinische Akutsituation es zulässt, auf die Wünsche des Patienten und seiner Angehörigen eingegangen werden und ausdrücklich Raum für eine persönliche Verabschiedung gegeben werden.
Die Notwendigkeit, Entscheidungen bei mangelnden rettungsdienstlichen Ressourcen treffen zu müssen, stellt für das Rettungsteam eine außergewöhnliche, emotionale und moralische Herausforderung dar. Eine psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) durch ein professionelles Team muss daher für die Mitarbeiter im Rettungsdienst gewährleistet sein. Führungskräfte sind angehalten, ihre Mitarbeiter zur Teilnahme an entsprechenden Angeboten zu motivieren.
Die BAND hält es für notwendig, dass sich Notärzte und Fachkräfte des Rettungsdienstes wie auch die Ärztlichen Leiter frühzeitig mit diesen kritischen Fragen auseinandersetzen und einen ethischen und moralischen Standpunkt finden, der ihnen die Orientierung in einer eskalierenden Lage ermöglicht.